Die Geschichte der schlauen Patientenverfügung PatVerfü

Einführungsrede anlässlich der Uraufführung des PatVerfü-Kinospots am 31.1.2012 im Kino Moviemento in Berlin

René Talbot hält die Einführungsrede

Liebe Gäste, herzlich willkommen zur Kino-Premiere des PatVerfü-Spots!

Mein Name ist René Talbot und ich werde Sie zusammen mit Alice Halmi durch diese Veranstaltung begleiten.

Heute präsentieren wir eine neue Dimension der Aufklärung über die PatVerfü und deshalb möchte ich, sozusagen zum warm werden, eine Geschichte erzählen, die Geschichte der PatVerfü. Das soll vor allem dazu dienen, zu verstehen, um was es bei dieser schlauen Patientenverfügung eigentlich geht: um die Selbstbestimmung.

Seit 62 Jahren gilt das Grundgesetz, aber erst im letzten Jahr hat das Bundesverfassungsgericht erkannt, dass die von den Betroffenen folterartig erlebte Zwangsbehandlung in der Psychiatrie mit den Grundrechten – die ja an sich Menschenrechte sind – unvereinbar ist.

Die vom medizinischen Personal begangene Körperverletzung war also immer schon ein Verbrechen. Dieser Rechtsfortschritt, und dass man sich außerdem inzwischen durch eine entsprechende Patientenverfügung, eben die PatVerfü, auch vor einer psychiatrischen Gefangennahme schützen kann, hatte einen geschichtlichen Vorläufer:

Im Juli 1982 veröffentlichte Thomas Szasz in der Zeitschrift American Psychologist den Text The Psychiatric Will: A New Mechanism for Protecting Persons Against “Psychosis” and Psychiatry. Der Begriff Psychiatric Will, der später von der Irren-Offensive etwas windschief mit „Psychiatrisches Testament“ übersetzt wurde, erhielt seine Inspiration von dem sog. „Living Will“. Der erste Living Will wurde 1967 von Luis Kutner, einem Anwalt in Chicago, der sich intensiv für die Menschenrechte einsetzte, in einem Vortrag veröffentlicht, der 1969 im Indiana Law Journal erschien.

Während die Ärzte in der Psychiatrie schon immer nahezu alles auch gegen den Willen der Betroffenen machen konnten, sobald eine Person durch die Diagnose einer angeblichen „Geisteskrankheit“ ihren Status als Rechtssubjekt verloren hatte, hatte in den 60er Jahren die Medizin solche Fortschritte gemacht, dass in lebensbedrohlichen Situationen Erfolge erzielt wurden, die ein Überleben ermöglichten, das allerdings insbesondere von Angehörigen immer wieder als unwürdig empfunden wurde. Außerhalb der psychiatrischen Mauern entstand so eine Angst vor den medizinischen Möglichkeiten, insbesondere denen der Intensivmedizin.

Der Wunsch, „nicht an Schläuchen zu hängen“, wurde formuliert und fand seine Grenzen an den gesetzlichen Regelungen zur Zwangspsychiatrie.

Denn den Ärzten war seit über 150 Jahren logisch implizit eine Machtstellung über die menschlichen Körper dadurch eingeräumt worden, dass die Verfügung über den eigenen Körper, insbesondere bei einem vom Betroffenen erwünschten und selbst herbeigeführten Tod, als Krankheit definiert und so medizinalisiert wurde. Die Bestrafung von Selbsttötungsversuchen als Wurzel der Psychiatrie hatte Thomas Szasz schon früh erkannt und so war sein Vorschlag 1982 nur konsequent. Mit dem Psychiatric Will wurde versucht, im Voraus schriftlich und analog zu der Untersagung medizinischer Intensivbehandlung am Lebensende, psychiatrische Behandlungen, insbesondere Einsperren und Zwangsbehandlung, zu verbieten.

In beiden Anwendungsbereichen entstand für die Justiz die Schwierigkeit, zwei sich widersprechende Gesetze unter einen Hut zu bekommen: einerseits das Selbstbestimmungsrecht als Freiheitsanspruch z.B. im Grundgesetz Artikel 2 bzw. die in der Verfassung der USA und andererseits die psychiatrischen Sondergesetze, die Selbsttötungsversuche bestrafen, zumindest aber Krankheitseinsicht durch psychiatrische Haft und erzwungene Drogeneinnahme erzwingen sollen.

Der Konflikt zweier, sich widersprechender, Gesetze kann nur dadurch gelöst werden, dass der Gesetzgeber ein neues Gesetz verabschiedet, in dem explizit – eben nicht nur implizit – dem Selbstbestimmungsrecht eines Erwachsenen, über den eigenen Körper zu verfügen, der Vorrang eingeräumt wird.

Das geschah in den USA für die Living-Will-Erklärungen für die Sterbephase das erste mal 1976 in Kalifornien. Bis 1990 folgten alle anderen US-Staaten. Allerdings wurde derselbe Anspruch für die Psychiatrie nirgends auf der Welt gesetzlich anerkannt. So blieb z.B. die Übersetzung des Psychiatric Will von Thomas Szasz, die die Irren-Offensive mit dem Titel „Das Psychiatrische Testament“ als Sonderheft Nr. 1 im Oktober 1987 herausbrachte, rechtlich wirkungslos, bzw. wurde willkürlich von Richtern nur ab und zu anerkannt. In rechtlicher Hinsicht gab es dann aber 1992 in Deutschland einen klitzekleinen Fortschritt, als erstmals die Vormundschaft aufgeweicht wurde und auch Entmündigte mit ihrer Unterschrift erstmals wirksam einen Anwalt bevollmächtigen konnten.

1999 wurde durch eine Gesetzesänderung diese Bevollmächtigungsmöglichkeit explizit auf alle erwachsenen Personen ausgeweitet. Dieses Gesetz sicherte den Vorrang solcher Vorab-Bevollmächtigungen gegenüber der gerichtlichen Bestellung eines Betreuers auch für die sogenannten “höchstpersönlichen Angelegenheiten“ der Gesundheitsvorsorge, also für das Einverständnis oder die Ablehnung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen.

Selbstverständlich nutzten wir sofort dieses Schlupfloch mit der von RA Saschenbrecker speziell für uns entworfenen Vorsorgevollmacht, der sogenannten Vo-Vo. Die Justiz, wie immer, wenn es um die Psychiatrie ging, versuchte ihr Möglichstes, um den Betroffenen ihre Grundrechte zu verweigern und die Kontrolle über Entscheidungen von solchen Vorsorgebevollmächtigten zu behalten, so dass der Gesetzgeber ein weiteres Mal die Dinge explizit regeln musste.

Und das tat er: mit einer breiten Mehrheit im Bundestag wurde am 18.6.2009 das Patientenverfügungsgesetz verabschiedet. Damit war nicht mehr nur ausdrücklich gesetzlich geregelt, wer vorrangig vor einer gerichtlichen Entscheidung bevollmächtigt werden kann, sondern was der Bevollmächtigende verfügen kann: bei allen Erkrankungen in allen Stadien, von einer ersten Untersuchung bis zur Bahre konnte nunmehr alles von einem einwilligungsfähigen Erwachsenen im Voraus untersagt werden. Den Prozess dieser Gesetzesänderung hatten wir herbeigesehnt und insbesondere mit Hilfe von Prof. Wolf-Dieter Narr aktiv unterstützt. Gut vorbereitet auf diesen Moment, konnten wir direkt nach der Verkündigung der Mehrheit im Bundestag unsere spezielle Patientenverfügung mit eingebauter Vorsorgevollmacht mit einer eigenen Domain www.PatVerfü.de im Internet veröffentlichen.

Die PatVerfü nutzt die gesetzlich ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit, medizinische Untersuchungen vorab untersagen zu können. Die Verhinderung unerwünschter psychiatrischer Diagnosen ist das Kernstück der PatVerfü, denn damit wird das Einfallstor für die psychiatrische Entrechtung und Entmündigung, Entwürdigung und Misshandlung rechtswirksam verschlossen.

Viel einfacher als mit dem Vorgängermodell, der Vo-Vo, kann sich nun jede und jeder selbst mit dieser einseitigen und einblättrigen Willenserklärung direkt verteidigen, indem sie im Geldbeutel immer mitgeführt wird und so jederzeit vorgezeigt werden kann. Diese direkte Wirkung wird in Erklärungen sowohl der Bundesjustizministerin wie auch der Bundesärztekammer anerkannt. Vorsorgebevollmächtigte werden damit regelmäßig zu Statisten, da sie sozusagen nur als zweiter Schutzwall fungieren, und damit auch die Hoffnung zerstört wird, ein Richter könne noch durch die Verordnung einer Betreuung das Blatt zugunsten medizinischer Machtentfaltung wenden.

Von dieser weltweit revolutionär zu nennenden Möglichkeit muss man aber erst mal erfahren haben, dass es sie gibt. Dem soll unsere Aufklärungskampagne dienen und das sieht dann so aus: Film ab!

© René Talbot

Englische Übersetzung der Rede

 


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