PatVerfü-Handbuch

Ei­ni­ge Tex­te des Hand­buch Pat­Ver­fü wer­den zur Zeit (1/2019) ak­tua­li­siert. Wir bit­ten noch um ein we­nig Ge­duld.

Das PatVerfü-Handbuch enthält ausführliche Informationen rund um das Thema PatVerfü. Sie können das Handbuch online lesen, als EBook herunterladen oder die gedruckte Broschüre bestellen. Oder lesen Sie die Einführung ins Thema.

Das PatVerfü-Handbuch ent­hält aus­führ­li­che In­for­ma­tio­nen rund um das Thema Pat­Verfü. Die The­men rei­chen von den ge­setz­li­chen Grund­la­gen für psych­ia­tri­schen Zwang bis hin zu prak­ti­schen Tipps, um sich mit der Pat­Verfü vor Zwangs­maß­nahmen zu schützen.

Die PatVerfü

Wille und Wohl

Des Men­schen Wil­len ist sein Him­mel­reich“ sagt man land­läu­fig, wenn man zwar die Wün­sche ei­ner an­de­ren Per­son nicht ganz nach­voll­zie­hen kann, aber ak­zep­tiert, dass sie den/die Betreffende/n eben se­lig ma­chen. Da­bei wird ak­zep­tiert, dass

  1. die Vor­stel­lun­gen, was ei­ne Per­son als Wohl emp­fin­det, per­sön­lich sind, al­so eben ge­ra­de nicht ei­ner all­ge­mei­nen Ver­nunft oder äu­ßer­li­chen Be­stimm­bar­keit oder Über­prüf­bar­keit un­ter­lie­gen
  2. das Wohl von dem Wol­len der Per­son ab­hängt, um die es da­bei geht und die­ses Wol­len prin­zi­pi­ell un­vor­her­seh­bar ist, weil Men­schen aus den­sel­ben Grün­den das Un­ter­schied­lichs­te, und aus den un­ter­schied­lichs­ten Grün­de das­sel­be tun kön­nen.

Wohl zu be­stim­men, ist al­so prin­zi­pi­ell nicht von au­ßen mög­lich, son­dern nur in­di­vi­du­ell. Hin­ge­gen ba­siert das eu­phe­mis­tisch „Be­treu­ungs­recht“ ge­nann­te Vor­mund­schafts­recht auf der paternalistisch/obrigkeitsstaatlichen Vor­stel­lung von Bür­gern als „Lan­des­kin­dern“. Wie in dem Ver­hält­nis von El­tern zu ih­ren Kin­dern, soll die­ses Ver­hält­nis vom Staat zu sei­nen er­wach­se­nen Bür­ge­rIn­nen dann gel­ten, wenn die­se nicht in vor­weg­ei­len­dem Ge­hor­sam auch sol­che Nor­men er­fül­len, die nicht durch die Straf­ge­setz­ge­bung sank­tio­niert sind. Die­ser Über­griff ge­gen die Frei­heits­rech­te des Ein­zel­nen soll über ein an­geb­lich stell­ver­tre­tend psychiatrisch/richterlich be­stimm­ba­res Wohl des Ein­zel­nen als „Für­sor­ge“ le­gi­ti­miert und der Über­griff von staat­lich mo­no­po­li­sier­ter Ge­walt da­mit le­ga­li­siert wer­den kön­nen. Tat­säch­lich ist es je­doch die blan­ke Will­kür, wie sie der Ab­ge­ord­ne­te Ru­dolf Kör­per in der ori­en­tie­ren­den De­bat­te des Bun­des­ta­ges zum Pa­ti­en­ten­ver­fü­gungs­ge­setz am 29. März 2007 rich­tig er­kennt:

Die Be­für­wor­ter ei­ner Ein­schrän­kung der Ver­fü­gungs­macht des Pa­ti­en­ten ar­gu­men­tie­ren mit ei­nem an­geb­li­chen Span­nungs­ver­hält­nis zwi­schen der frei­en Ent­schei­dung des Bür­gers und sei­nem – an­geb­lich – ob­jek­tiv be­stimm­ba­ren Wohl. Oder sie be­ru­fen sich auf ei­ne Pflicht des Staa­tes zum Le­bens­schutz. Ich möch­te hier nicht dis­ku­tie­ren, ob der Staat im We­ge des Ge­set­zes ge­gen den frei­en Wil­len des Be­trof­fe­nen kör­per­li­che Ein­grif­fe mit dem Ziel des Le­bens­schut­zes er­mög­li­chen darf. Ei­ne ver­fas­sungs­recht­li­che Ver­pflich­tung zu ei­ner der­ar­ti­gen Vor­ga­be be­steht mit Si­cher­heit nicht. Al­so müs­sen wir das Er­geb­nis die­ser Mei­nung po­li­tisch be­wer­ten: Die­je­ni­gen, die sich selbst zum Schüt­zer frem­den Le­bens er­nannt ha­ben, kom­men im Er­geb­nis da­zu, die Frei­heit der Bür­ger aus Für­sor­ge­grün­den in ei­nem zen­tra­len Kern­be­reich der Selbst­be­stim­mung ein­zu­schrän­ken. Sie be­grün­den dies mit dem an­geb­lich „ob­jek­tiv“ be­stimm­ba­ren Wohl der Be­trof­fe­nen. Ich weiß nicht, wo­her sie den Maß­stab die­ses „ob­jek­ti­ven“ Wohls her­neh­men wol­len. Das mensch­li­che „Wohl“ ist aus mei­ner Sicht im Ge­gen­teil ei­ne sehr sub­jek­ti­ve An­ge­le­gen­heit. Die an­geb­li­che „Ob­jek­ti­vi­tät“ des Wohls wird da­durch er­zeugt, dass der Maß­stab des Be­trof­fe­nen durch den ei­ge­nen Maß­stab er­setzt wird. Ich hal­te dies für nicht ver­ant­wort­bar. Wir Ab­ge­ord­ne­ten des Deut­schen Bun­des­ta­ges soll­ten uns im Ge­gen­teil da­mit be­schei­den, den Bür­ge­rin­nen und Bür­gern den Rah­men für ei­ne – mög­li­che – Ent­schei­dung zur Ver­fü­gung zu stel­len. Wir kön­nen und soll­ten nicht an­stel­le der Bür­ger ent­schei­den wol­len…“[61]

Die­se Po­si­ti­on, dass Wil­le vor Wohl geht bzw. dass das Wohl durch den Wil­len der je­weils Be­trof­fe­nen be­stimmt wird, ist die Fra­ge, die Li­ber­tä­re von Dok­tri­nä­ren scharf trennt. Sie schei­det ei­nen Herr­schafts­an­spruch der Ver­nunft von den Men­schen­rech­ten. Mit der Ent­schei­dung des Bun­des­ta­ges am 18.6.2009 für den Ge­set­zes­ent­wurf des Ab­ge­ord­ne­ten Stün­ker wur­de sich deut­lich und par­tei­über­grei­fend dar­auf ge­ei­nigt, dem Pa­ti­en­ten­wil­len und da­mit der Selbst­be­stim­mung in je­der Le­bens­la­ge und ent­ge­gen je­dem ärzt­li­chen und staat­li­chen Pa­ter­na­lis­mus un­ab­hän­gig von „Art und Sta­di­um ei­ner Er­kran­kung“ Gel­tung zu ver­schaf­fen. Da­mit wur­de be­stä­tigt, dass das Prin­zip des „in­for­med con­sent“ im Be­reich der Psych­ia­trie eben­so gilt wie in je­dem an­de­ren Be­reich der Me­di­zin. Ärzt­li­che Be­hand­lung und Untersuchung/Diagnose darf nur mit in­for­mier­ter Zu­stim­mung der/des Be­trof­fe­nen er­fol­gen. Da­her kann psych­ia­tri­sche „Zwangs“- Un­ter­su­chung und - Be­hand­lung ei­gent­lich nur noch bei Men­schen er­fol­gen, die dar­an glau­ben, dass es „psy­chi­sche Krank­hei­ten“ gibt und dass sie da­durch „ein­wil­li­gungs­un­fä­hig“ wer­den kön­nen und die sich un­ter die­sen Um­stän­den auch psych­ia­trisch dia­gnos­ti­zie­ren so­wie ge­ge­be­nen­falls zwangs­psych­ia­trisch be­han­deln las­sen wol­len. Die­se Men­schen soll­ten ei­ne Vor­aus­ver­fü­gung ver­fas­sen, in der sie „po­si­tiv“ für die­se Si­tua­ti­on psych­ia­tri­sche „Zwangs“- Maß­nah­men an sich sel­ber zu­stim­men.[62] So­mit sind die im Ka­pi­tel Psych­ia­tri­scher Zwang und sei­ne recht­li­chen Grund­la­gen an­ge­führ­ten psych­ia­tri­schen Zwangs­ge­set­ze end­gül­tig hin­fäl­lig bzw. es be­darf ei­ner grund­le­gen­den Re­form, bei der jeg­li­che Ele­men­te ge­stri­chen wer­den, wel­che die Aus­übung von Zwang und Ge­walt (jen­seits ei­ner ‚po­si­ti­ven psych­ia­tri­schen Vor­aus­ver­fü­gung‘) er­lau­ben. So lan­ge dies nicht der Fall ist, d.h. al­le Wi­der­sprüch­lich­kei­ten be­sei­tigt sind, müs­sen sich al­le, die si­cher ge­hen möch­ten, dass ihr Selbst­be­stim­mungs­recht auch im Be­reich der Psych­ia­trie un­an­ge­tas­tet bleibt, mit der Pat­Ver­fü be­hel­fen.


[61] Re­de von Fritz Ru­dolf Kör­per zum The­ma „Pa­ti­en­ten­ver­fü­gung“ am 29. März 2007 im Deut­schen Bun­des­tag, 16. Wahl­pe­ri­ode, Sit­zungs­num­mer 91. Aus­zug aus dem Ple­nar-Pro­to­koll des Deut­schen Bun­des­ta­ges, sie­he Sei­te 9282: http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/16/16091.pdf

[62] Ei­nen Mus­ter­vor­schlag solch ei­ne „po­si­ti­ve psych­ia­tri­sche Vor­aus­ver­fü­gung“ fin­den Sie im In­ter­net un­ter: www.antipsychiatrie.de/io_08/positivestestament.htm