Psychiatrischer Zwang und seine rechtlichen Grundlagen

Psychiatrischer Zwang und seine rechtlichen Grundlagen

“Öffentlich-rechtliche” Unterbringung und Zwangsbehandlung nach Ländergesetzen

Die sogenannte “öffentlich-rechtliche” zwangsweise Unterbringung und Zwangsbehandlung wird in Deutschland über Landesgesetze geregelt, die in den meisten Bundesländern “Psychisch Kranken Gesetze” (PsychKG), in drei Bundesländern “Unterbringungsgesetz”[1] und in Hessen “Freiheitsentziehungsgesetz” genannt werden. Grund für ihren Status als Landesgesetze ist ihre Herkunft aus dem Polizeirecht.[2] Die allen Bundesländern gemeinsame “Voraussetzung” für diese Art von Unterbringung ist eine angenommene “Selbst- oder Fremdgefährdung aufgrund psychischer Krankheit”.[3] Dies wird zum Beispiel im Bayrischen Unterbringungsgesetz, Abschnitt 1, Art. 1, Absatz 1 unter der Überschrift „Voraussetzungen der Unterbringung“ wie folgt beschrieben:

„(1) Wer psychisch krank oder infolge Geistesschwäche oder Sucht psychisch gestört ist und dadurch in erheblichem Maß die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet, kann gegen oder ohne seinen Willen in einem psychiatrischen Krankenhaus oder sonst in geeigneter Weise untergebracht werden. Unter den Voraussetzungen des Satzes 1 ist die Unterbringung insbesondere auch dann zulässig, wenn jemand sein Leben oder in erheblichem Maß seine Gesundheit gefährdet.“[4]

“Selbst- oder Fremdgefährdung aufgrund psychischer Krankheit” basiert demnach auf der Mutmaßung, die betreffende Person könne in Zukunft, da sie angeblich geistig oder seelisch “krank” sei, andere oder sich selbst schädigen. Wer daher nach den Psychisch-Kranken-Gesetzen in einer Geschlossenen eingesperrt wird, hat keine oder keine erhebliche Straftat begangen. Wäre dies der Fall, dann würde der oder die Betreffende, in einem Strafprozess gegebenenfalls verurteilt, entweder in eine Justizvollzugsanstalt oder in eine Anstalt des Maßregelvollzugs (siehe unten den Abschnitt „Forensische Psychiatrie/„Maßregelvollzug“ nach § 63 StGB und § 64 StGB“) eingesperrt werden. Auch ein Selbsttötungsversuch, der Anlass für eine Zwangsunterbringung sein kann, ist kein Straftatbestand. Selbsttötung wie “Selbstschädigung” ist kein Rechtsbruch. Abgesehen davon ist es, ebenso wie das eigene Wohl, subjektive Beurteilung, was “Selbstschädigung” sein solle. Darüber hinaus lassen die Formulierungen in den Unterbringungsgesetzen, was Selbst- oder Fremdgefährdung eigentlich sei, den psychiatrischen GutachterInnen maximalen Spielraum für die Erfindung ihrer „Diagnosen“.

Praktisch ist der Ablauf der gerichtlichen Zwangs-„Unterbringung“ wie folgt: Wenn ein Mensch auf eine psychiatrische Station gerät –  sei es, er/sie wird eingeliefert oder aber auch, er/sie sucht die Psychiatrie auf, weil er/sie sich Hilfe erhofft –  und die Psychiatrie will ihn nicht gehen lassen, dann kann sie ihn – wie die Polizei zur „Gefahrenabwehr“ jemanden in Gewahrsam nehmen kann – maximal 48 Stunden lang einsperren, um innerhalb dieser Zeit den regulären Gerichtsbeschluss auf Zwangsunterbringung zu erwirken. Auch in sogenannten „halboffenen“ Stationen sind die Türen verschließbar, so dass das Personal am Eingang kontrolliert, wer rausgehen kann und wer nicht. Die den Antrag zur (öffentlich-rechtlichen) Unterbringung stellende Behörde (Bezirksamt/ Kreisamt, Sozialpsychiatrischer Dienst,…) ist verpflichtet, ein Gutachten eines „Sachverständigen“ einzuholen, dieser solle Psychiater sein.[5] Die Betroffenen haben vor der Fassung des Unterbringungsbeschlusses pro Forma das Recht auf eine richterliche Anhörung, auf einen Pflichtverteidiger, genannt „Verfahrenspfleger“, und das Recht, Widerspruch gegen den Beschluss einzulegen. Die Anhörung erfolgt häufig jedoch in der Praxis, nachdem die Betroffenen bereits eine Weile mittels oben genanntem Gewahrsam oder durch Einschüchterung und/oder bloße (illegale) Gewalt auf Station festgehalten und dabei unter psychiatrische Drogen gesetzt worden sind. Üblicherweise verabreicht werden Denk- und Bewegungsfähigkeit lähmende Neuroleptika. Die Anhörung geschieht an Ort und Stelle, in Anwesenheit des Stationsarztes, welcher den/die Betroffene/n – häufig als zweiter sogenannter „Experte“ nach dem Amtsarzt – bereits ebenfalls als „nicht einsichtsfähig“ und „psychisch krank“ deklariert hatte. Einen Gegenbeweis für deren Beurteilungen zu erbringen, ist für die Betroffenen in dieser Situation nahezu unmöglich. (Mehr zur Willkür der „Diagnosestellung“ siehe „Zwangspsychiatrie in Zahlen und die Willkür psychiatrischer „Diagnostik““). Für einige Betroffene ist darüber hinaus noch nicht einmal das Recht auf persönliche Teilnahme an der Anhörung garantiert: Aus dem Bayrischen Unterbringungsgesetz geht hervor, dass auch dies verwehrt werden kann, wenn sich daraus angeblich „erhebliche Nachteile für seine Gesundheit oder eine Gefährdung Dritter“ ergeben würden.[6] Mit derselben, vom Arzt getroffenen, Behauptung „erhebliche[..] Nachteile für seine Gesundheit“ kann den Betroffenen nach dem PsychKG Berlin auch die Bekanntgabe der Entscheidungsgründe für die Unterbringung verwehrt werden.[7] Ohne PatVerfü hilft es auch in den seltensten Fällen, Widerspruch einzulegen und sich mit einem eigenen Anwalt, statt dem ebenfalls typischerweise befangenen, gerichtlich bestellten Verfahrenspfleger, zu verteidigen – denn wie soll ein Rechtsanwalt beweisen, dass die „Diagnose“ eines sogenannten „psychiatrischen Facharztes“ falsch ist? Die zuständigen Gerichte folgen dann so gut wie immer den Gutachten der PsychiaterInnen und entscheiden auf Unterbringung (bis zu 6 Wochen, danach kann u.U. wieder genauso verfahren werden).

Die stationären Zwangsmaßnahmen, d.h. Vergabe von Psychopharmaka genannten psychiatrischen Drogen gegen den Willen der InsassInnen, aufgezwungenes Beschäftigungsprogramm und Elektroschocks[8] sind dann in der herrschenden Logik die Folge aus der gerichtlichen Unterbringung. Denn: Ohne die in der Anstalt durchgeführten Maßnahmen kann das Einsperren auch nach der psychiatriefreundlichsten juristischen Meinung nur reine Freiheitsberaubung sein. Daher muss eine psychiatrische Unterbringung mit der angeblichen „Heilbehandlung“ oder „Therapie“ einhergehen – bei „Krankheitsuneinsichtigkeit“ und „Behandlungsunwilligkeit“ gegen den Willen der Betroffenen. In den Unterbringungsgesetzen ist die Zwangsbehandlung gleichwohl auch im Einzelnen geregelt. Um das zu veranschaulichen, werden die entsprechenden Passagen aus dem „Berliner PsychKG“ und dem „Bayrischen Unterbringungsgesetz“ zitiert:

  1. Die „Regelung“ der Zwangsbehandlung mit Psychopharmaka und Elektroschocks hat in den beiden oben genannten Unterbringungsgesetzen den selben Inhalt und auch teilweise den selben Wortlaut: „Unaufschiebbare Behandlungsmaßnahmen“habe der „Untergebrachte“ „zu dulden“ (§ 30, Abs. 2, Berliner PsychKG und Abschnitt 1, Art. 13, Abs. 2, Satz 1, Bayrisches Unterbringungsgesetz), „soweit sie sich auf die Erkrankung, die zu seiner Unterbringung geführt hat, beziehen“ (§ 30, Abs. 2, Berliner PsychKG) bzw. „1 soweit sie sich auf die psychische Erkrankung oder Störung des Untergebrachten beziehen oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung in der Einrichtung notwendig sind. 2 In diesem Rahmen kann unmittelbarer Zwang angewandt werden“ (Abschnitt 1, Art. 13, Abs. 2, Satz 1 und 2, Bayrisches Unterbringungsgesetz).
  2. Weitere freiheitsentziehende Maßnahmen werden durch das Bayrische Unterbringungsgesetz in Abschnitt 1, Art. 19, Absatz 1 („Unmittelbarer Zwang“) grundsätzlich geregelt. Es heißt dort: „Bedienstete der Einrichtung dürfen gegen Untergebrachte unmittelbaren Zwang anwenden“,  „wenn dies zur Durchführung des Art. 12 Abs. 1 und 2“(Unterbringung und Betreuung), „des Art. 13“ (Heilbehandlung) „oder von Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung in der Einrichtung erforderlich ist“. Im Berliner PsychKG werden die Bedingungen für die Zulassung „Besondere[r] Sicherungsmaßnahmen“ in § 29 a, Absatz 1 angegeben: „Besondere Sicherungsmaßnahmen sind nur zulässig, wenn die gegenwärtige erhebliche Gefahr besteht, dass der Untergebrachte sich selbst tötet oder ernsthaft verletzt oder gewalttätig wird oder die Einrichtung ohne Erlaubnis verlassen wird und wenn dieser Gefahr nicht anders begegnet werden kann“. Diese durch die beiden Landesgesetze angegebenen Gründe sind, wie bei der Zulassung zur Unterbringung äußerst weitläufig interpretierbar. Das PsychKG Berlin zählt in § 29 a, Absatz 2, auf: „Besondere Sicherungsmaßnahmen sind: 1. die Beschränkung des Aufenthalts im Freien“ (d.h. zum Beispiel erholsame Spaziergänge im Klinikpark), „2. die Wegnahme von Gegenständen“ (jene beschränkt sich in der Praxis nicht etwa auf die Wegnahme von waffenähnlichen Gegenständen, sondern beinhaltet beispielsweise die Wegnahme und Rationierung von Zigaretten), „3. die Absonderung in einen besonderen Raum“ (in der Praxis nichts anderes als Isolationshaft) und „4. die Fixierung“ (‚klinischer‘ Ausdruck für die Fesselung an ein Bett).

 


[1] In Baden-Württemberg, in Bayern und im Saarland

[2] Vgl. Fabricius, Dirk/Dallmeyer, Jens: Rechtsverhältnisse in der Psychiatrie. In Wollschläger, Martin (Hg.): Sozialpsychiatrie. Entwicklungen – Kontroversen – Perspektiven. DGVT-Verlag: Tübingen 2001, S. 62

[3] vgl. ebd.

[4] Unterbringungsgesetz Bayern: Gesetz über die Unterbringung psychisch Kranker und deren Betreuung (Unterbringungsgesetz-UnterbrG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. April 1992

[5] vgl. z.B. PsychKG Berlin: 2. Unterabschnitt, Verweis auf § 70 e FGG, Abs.1 oder Unterbringungsgesetz Bayern: Art.7, Abs.1, Satz 2

[6] vgl. Art.7, Abs.1, Satz 5, Unterbringungsgesetz Bayern

[7] PsychKG Berlin: siehe § 70 g FGG („Bekanntmachung und Wirksamkeit der Entscheidungen“)

[8] Anlässlich eines Besuches im Vorfeld des Foucault-Tribunals gab Professor Helmchen von der Psychiatrie der Freien Universität Berlin 1998 zu, dass er mit Gewalt und unter Zwang elektroschockt (vgl. Talbot, René: Geisteskrankheit gibt es nicht. Die Irren gehen in die Offensive. Interview in: ätzettera, Nr. 35, Mai 2002).